Die Stadt des Dichters. Eine armenische Niederlassung in Italien - La città del poeta. Una colonia armena in Italia
Questo articolo in lingua tedesca apparve sul Neues Wiener Journal del 9 settembre 1927. Si intitola "Die Stadt des Dichters. Eine armenische Niederlassung in Italien" ovvero "La città del poeta. Una colonia armena in Italia".
È stato trascritto da Carlo Coppola.
Es gibt auch Pechvögel unter den Völkern; die Armenier sind es. Seit jeher vom Unglück verfolgt, hat ihnen der Weltkrieg keine fühlbare Wandlung ihres Schicksals gebracht. Wohl wurde aus ehemals türkischen und russischen Gebieten eine armenische Republik geschaffen und unter den Schutz des Völkerbundes gestellt, aber dieser Schutz ist wenig wirksam; in einem großen Teil des neuen Staates haben die russischen Sowjets Einfluß gewonnen, im anderen dauert die türkische Herrschaft fort. Armenien, seit zwanzig Jahrhunderten ein Vorposten westlichen Geistes im Orient, leidet noch immer Unrecht und Unterdrückung; seine besten Männer sind verbannt und leben in ganz Europa zerstreut. Zu diesen Exilierten gehört der Dichter Hrand Nazarian. Im Jahre 1880 geboren, wäre er kraft seines Talents und seiner Kenntnisse heute einer der Führer des armenischen Volkes, hätte man ihn nicht im Jahre 1915 aus dem Vater lande gewiesen. Sein Name ist bereits außerhalb Armeniens bekannt geworden; mehrere seiner Dichtungen wurden in europäische Sprachen übersetzt. Aber außer seinen Büchern wird auch ein Werk ihn überleben, das nicht der Poet, sondern der praktische Politiker, der tüchtige Organisator, der tätige, energische, hilfsbereite Mensch geschaffen hat: der Ort Nor-Arax, der von, Nazarian gegründet wurde und der auf dem besten Wege ist, eine Stadt zu werden. Mit sechzig seiner Landsleute flüchtete Nazarian nach der Katastrophe von Smyrna vor den Türken und landete in Bari. Männer, Frauen und Kinder waren seine Schicksalsgenossen, arme, todwunde Menschen, die Furchtbares erlitten hatten und glücklich waren, wenigstens ihr Leben gerettet zu wissen. Der Dichter wurde ihr Führer. Er war cs, der die italienische Regierung bewog, ihm für seine Schutzbefohlenen Baracken zur Verfügung zu stellen (Deutschland hatte sie auf Reparationskonto an Italien geliefert), und er war es auch, der die ganze unglückliche Schar der Entwurzelten wieder zu selbständigen, seßhaften, zufriedenen Menschen machte.
Nach seinem Plane erhob sich in der Nähe von Bari eme Niederlassung, die Nazarian Nor Arax (Neu-Arax) nach dem Namen des heiligen Flusses der Armenier taufte. Die meisten dee Flüchtlinge waren in ihrer letzten Leidensstation, der Levants, Teppichweber gewesen und dieses Handwerk sollten sie nach der Dichters Anordnung auch in der neuen Heimat treiben. Aus den deutschen Baracken wurden nicht nur Wohnungen, sondern auch Fabrikräüme und heute, da inzwischen die Zahl der in Neu-Arax ansässigen Armenier beträchtlich sich vermehrt hat, arbeiten bereite 150 Flüchtlinge, zumeist Frauen, an den kunstvollen Geweben, die im Welthandel so großen Ruf haben. Nazarian, der Poet, hat das Dichten nicht aufgegeben, aber im Hauptberuf ist er jetzt Premierminister und Bürgermeister des kleinen armenischen Stadtstaates, den er gegründet hat— und außerdem Fabrikherr, der tüchtig Reklame macht und fleißig Kunden wirbt. Was aber die Hauptsache: die Gründung floriert und hat sichtbar eine Zukunft. Zu den mächtigsten Förderern der armenischen Niederlassung bei Bari gehören die italienische Aristokratie, die Neu-Arax durch Bestellungen materiell unterstützt, und mit ihr die italienische Regierung, die die Bewilligung gab, daß neue armenische Flüchtlinge aus Syrien, Griechenland und anderen Ländern, wo re arbeitslos im Elend leben, in die junge Stadt gebracht werden. Die italienische Regierung gewährt freie Uebcrsahrt und stellt den Ankömmlingen so viele Baracken, wie sie brauchen, zur Verfügung. Dr. Nansen sagte namens des Völkerbundes die Gewährung einer Summe zu, die für die Errichtung eines kleinen Krankenhauses verwendet werden soll, und der Papst hat dem Dichter die Mittel zum Ban einer armenischen Kirche überwiesen. Bereits ist eine Gesellschaft zur Erzeugung orientalischer Teppiche mit einem Kapital von drei Millionen Lire in Gründung begriffen und im Zusammenhang mit dieser Gründung steht die Absicht, als dritten Transport etwa tausend armenische Flüchtlinge aus Griechenland nach Neu-Arax zu schassen. Man rechnet, daß dieser vor kurzem erst erstandene Ort im nächsten Jahre bereits 1600 bis 2000 Einwohner zählen, also buchstäblich eine kleine Stadt sein wird— die Stadt des Dichters.
Und da sage man noch, daß Poeten unpraktyche, für das tätige Leben meist nicht brauchbare Menschen sind!
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